Heiligabend: Die einflussreichsten Personen Deutschlands werden in ihren Häusern eingesperrt – und ihre Geiselnahmen live übertragen. Der Showmaster tritt vor die Kamera und erklärt die Spielregeln: »Zwar wählen die Menschen ihre Regierung, die Macht liegt jedoch längst nicht mehr beim Volk. Heute präsentieren wir Ihnen diejenigen, die wirklich entscheiden, wer zum Gewinner und wer zum Verlierer des Systems wird. Und glauben Sie mir, jeder von ihnen hat mindestens eine Leiche im Keller.« Nun haben die Zuschauer die Wahl, wer mit einem blauen Auge davonkommt und wer bluten muss. Während die Menschen wie gebannt vor ihren Bildschirmen sitzen, wird eine Frage immer lauter: Wer sind die Drahtzieher hinter der Reality Show? (Quelle: dtv.de/ November 2021)
Anne Freytag steht in meinen Augen für eine bildgewaltige, malerische Sprache, systemkritische Themen in ihren Thrillern und große Gefühle. Sie erfindet sich als Autorin immer wieder neu, was ich ihr hoch anrechne, da man sich so immer wieder der Gefahr aussetzt, den treuen Fans mit etwas Neuem nicht gerecht zu werden.
"Aus schwarzem Wasser" war letztes Jahr ein Highlight für mich, da ich die Mischung aus Polit-, Umwelt- und Psychothriller genial fand und Majas Geschichte mich noch lange Zeit zum Nachdenken angeregt hat. Ebendies habe ich mir auch von "Reality Show" erhofft. Ich wurde nicht enttäuscht, obwohl dieser Thriller anders war, als ich erwartet habe.
Die Geschichte beginnt mit der Vorstellung von zehn (erfolg)reichen älteren Damen und Herren, die fast alle in die Kategorie "alte weiße Männer und Frauen" hineinpassen. Wir lernen sie am Heiligabend kennen, im Kreise ihrer Familie, allein oder in romantischer Gesellschaft. Ich empfand den Einstieg als etwas holprig, da ich direkt in die Reality Show starten wollte, das erste Viertel aber erst mal aus Charaktervorstellungen bestand. Als es danach richtig losgeht, die TV Show beginnt und auch Perspektiven von anderen Personen hinzukommen, wurde es richtig spannend.
Wir begleiten abwechselnd die Sichtweise der "Kandidaten" der Reality Show, der Verantwortlichen sowie der "Gesellschaft" in Form von unterschiedlichen Menschen, die sich die Show im Fernsehen anschauen. Dies immer wieder im rasanten Wechsel, die Kapitel immer nur wenige Seiten lang, sodass ich förmlich durch die Geschichte durchgerast bin. Schon beim Lesen hatte ich die Story direkt vor Augen, eine Verfilmung dessen wäre großartig.
Insgesamt greift dieses Buch viele verschiedene aktuelle Themen auf. Es ist ein sehr politisches Buch, das Missstände unserer heutigen Gesellschaft aufzeigt und nach Verantwortlichen schreit. Ich als Leserin habe gleichzeitig mit den Verantwortlichen der Reality Show mitgefiebert, aber bin genauso Teil des Problems, was einen richtigen Zwiespalt in mir hervorgerufen hat. Die Autorin schafft es so gut, dass man Wut auf die Menschen und ihre Lebensweise entwickelt, aber ebenso mitdrinsteckt. Auch hier hat Anne Freytag wieder für tiefe Emotionen gesorgt, aber diesmal sind es Wut, Hass und Hilflosigkeit. Ein wahres Kunstwerk, das auf unangenehme Art und Weise unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält.
Einziger Kritikpunkt von meiner Seite ist die Fülle an Charakteren. Ich konnte mir leider die Namen schwierig merken. Generell habe ich kein besonders gutes Namensgedächtnis, aber hier kam ich teilweise völlig durcheinander. Der rote Faden ist dennoch da und ich habe die Zusammenhänge jederzeit gut verstehen können, aber einzelne Figuren sind aus der Masse nicht herausgestochen. Vermutlich war das auch gewollt von der Autorin, da es hier eher um "Parteien" oder "Subgruppen" der Gesellschaft geht, als um den Einzelnen. Dennoch glaube ich, dass ein paar weniger Charaktere der Geschichte keinen Abbruch getan hätten.
"Reality Show" ist eine große Empfehlung von mir, wenn ihr nicht vor unbequemen Wahrheiten und politischen Themen in Büchern zurückschreckt. Es geht definitiv nicht (nur) um eine unterhaltsame Fernsehshow, sondern so viel mehr!
Alles Liebe
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