Montag, 7. März 2022

[Rezension] Roxy: Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz von Neal & Jarrod Shusterman

Hallo ihr Lieben,

mit den Büchern von Neal Shusterman habe ich bisher recht gute Erfahrungen gemacht, der erste Band der "Scythe" Dystopie und "Game Changer" haben mir gut gefallen. Nun habe ich das erste Mal ein Jugendbuch gelesen, das er gemeinsam mit seinem Sohn Jarrod geschrieben hat. Viel Spaß bei meiner Rezension zu "Roxy"!


Autoren: Neal & Jarrod Shusterman
Erscheinungsdatum: 23.02.2022
Einzelband
Kategorie: Jugendbuch/ Fantasy-Thriller
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
448 Seiten
Broschierte Ausgabe 16,00€ (D), Kindle Edition 14,99€ (D)
Kaufen? Beim Verlag oder deinem regionalen Buchhandel



*Dieses Buch hat mir der Fischer Verlag freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung bleibt natürlich vollkommen ehrlich.*



Als Isaac der überirdisch schönen Roxy begegnet, zieht sie ihn sofort in ihren Bann. Er fühlt sich lebendig wie nie, alles ist leicht und nichts scheint unmöglich. Isaac ahnt nicht, dass Roxy kein normales Mädchen ist, sondern eine Droge, hergestellt in einem Labor, um die Menschen von ihrem Schmerz zu befreien. Und Millionen Menschen lieben sie dafür. Doch das ist Roxy nicht genug. Sie will beweisen, wie tödlich sie ist (Quelle: Fischerverlage.de/März2022).
 


Die Aufmachung des Buches ist der absolute Wahnsinn! Nicht nur der Effekt, dass das Buch im Schwarzlicht leuchtet, auch die Abbildung auf den Cover hat mich mehr als überzeugt. Das Mädchen, auf dessen Hand zwei Menschen laufen, kann so vielseitig interpretiert werden, dass ich es während des Lesens immer wieder anschauen musste. Die Farbgebung in Blau- und Lilatönen passt sehr gut zu der Stimmung der Geschichte, voller Rausch und Sinnestäuschung. Die Glanzoptik gefällt mir auch gut, ist aber leider recht anfällig für Kratzer. Ich bin vollends begeistert von dieser kreativen, ästhetischen Gestaltung des Buches.



Isaac wird in einer Rangelei am Fuß verletzt und muss sich mit Schmerzmitteln über Wasser halten, um ja nicht beim Sport auszufallen. Die Chance auf ein Stipendium am College zu verspielen, wäre zu groß. Doch was als alltägliche Einnahme an Medikamenten beginnt, wird immer mehr zu einer Abhängigkeit. Denn Isaac kann der schönen Roxy nicht mehr widerstehen und wird von ihr mehr und mehr vereinnahmt. Die beiden gehen eine gefährliche Liebschaft miteinander ein, bis es beinahe zu spät ist...

  

Bei der Idee zu diesem Buch komme ich immer wieder erneut ins Staunen. Ich habe einen Leser*innenbrief der Autoren gelesen, in dem sie schildern, wie sie auf die Grundidee gekommen sind, und bin unfassbar beeindruckt davon. Nicht nur, dass Drogenkonsum an sich ein wichtiges Thema darstellt, das bereits in Jugendbüchern behandelt werden sollte, das ganze so wie hier aufzuziehen erreicht ganz neue Ebenen.
Die Autoren stellen hier verschiedene Substanzen als Clans dar, so haben wir die Schmerzmittel, Aufputschmittel und Halluzinogene. Jede Substanz ist eine Person, deren Alltag sich darum geht, immer wieder Menschen zum Konsum zu verführen und ihre Opfer an andere Clanmitglieder weiterzureichen oder sie bis in den Tod zu begleiten. Diese Personifizierung der Substanzen ist ein äußerst spannendes Gedankenspiel, das mich nicht mehr losgelassen hat. Es werden verschiedenste Aspekte beleuchtet: Was geschieht mit Drogen, die aus der Mode gekommen sind? Wie gelangen Menschen nach dem Einstieg zu härteren Substanzen? Was bedeutet Entzug?
All diese Fragen werden durch dieses Buch auf kreative Weise mit fantastischen Elementen beantwortet und haben mich sehr zum Nachdenken angeregt.


Das Buch war insgesamt nicht nur unterhaltsam und spannend für mich. Mit dem Schreibstil hatte ich durchweg so meine Probleme und oft das Gefühl, nie vollkommen in der Geschichte anzukommen. Möglicherweise lag das an den verschiedenen Perspektiven und der übergeordneten Rolle der Substanzen, die wie Gottheiten über dem Geschehen schweben und nur zwischendrin mit den Menschen in den Dialog treten. Nach jeder Lesepause brauchte ich wieder 10-20 Seiten, um einzutauchen. Dennoch gibt es auch sehr philosophische Fragen und schöne Sätze, die zum Nachdenken angeregt haben.
Ähnlich war es mit der Spannung des Buches. Ich finde die Bezeichnung "Fantasy-Thriller" grundlegend passend, aber besonderes rasant fand ich das Erzähltempo nicht. Es gab immer wieder einzelne alltägliche Sequenzen aus dem Leben von Isaac und seiner Schwester Ivy, abwechselnd mit Einblicken in die Gedankenwelt verschiedener Substanzen. Die Zuspitzung der Situation am Ende des Buches war voller Nervenkitzel, aber den Weg dahin empfand oft als schwermütig und etwas holprig.

Die Figuren in der Geschichte sind der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Ich konnte Isaacs und Ivys Perspektive ganz gut nachvollziehen, wobei es im Laufe der Geschichte schwierig wird zu unterscheiden, was die beiden von sich aus fühlen und inwiefern der Drogenkonsum ihre Gedanken und Handlungen steuert. Das fand ich sehr eindrücklich, da es sich in der Realität vermutlich ebenso nach und nach miteinander vermischt. Ivy wird ebenfalls durch eine Substanz namens Addison begleitet, um ihre ADHS Symptomatik einzudämmen. So haben wir den Vergleich der Geschwister.
 
Das Umfeld der beiden ist recht blass geblieben. Die genannten Freunde in der Clique waren stereotypisch beschrieben und hatten wenig Persönlichkeit. Möglicherweise war das ein Ausdruck der Isoliertheit der Hauptfiguren, dass die Umgebung dumpf und unwichtig wird, aber das kann ich nicht genau sagen. Ich hätte mir manchmal die Perspektive der Eltern gewünscht, wieso sie nicht früher bemerkt haben, dass ihre Kinder auf die schiefe Bahn geraten.

Was ich auf dem Klappentext etwas irreführend finde, ist der große Fokus auf der Liebesgeschichte zwischen Roxy und Isaac. Es ist schon so, dass man ihre Verbindung zueinander als Liebe interpretieren kann, aber das ganze findet eher im übertragenen Sinne statt. Ich habe es mir so vorgestellt, dass Roxy über ihm schwebt, immer an seiner Seite ist oder ihm ins Ohr flüstert, aber es gibt keine Körperlichkeit zwischen den beiden. Was zum Thema gemacht wird, sind Roxys entstehende Gefühle für Isaac und dass sie dadurch aus ihrer Rolle als Verführerin fällt, was aber für mich eher ein Randaspekt war. Der Fokus liegt auf dem Prozess, in die Abhängigkeit hineinzurutschen und wozu Menschen fähig sind, um getrieben von der Sucht weiterhin konsumieren zu können.

Das Buch wirft zum Ende hin viele moralische Fragestellungen auf, was mir gut gefallen hat. Durch die Personifizierung der Substanzen werden die Menschen verführt, was einen Großteil der 
Verantwortlichkeit von Abhängigkeit an die Substanzen abgibt und wenig mit den Menschen zu tun hat. Dieses Ansatz finde ich spannend, aber auch gefährlich, denn letztendlich haben die Menschen dennoch die Entscheidungsgewalt inne, den Konsum zu steuern und möglichst schon vor dem Absturz in die Sucht die Notbremse zu ziehen und sich Hilfe zu suchen.

Diese Botschaft wird nicht
wirklich deutlich. Hier wird eher ein abschreckendes Beispiel illustriert, das dafür aber wachrüttelnd wirkt. Andererseits wurde der Drogenkonsum auch mit seinen Gewinnen wie hoher Leistungsfähigkeit dargestellt, sodass ich es schön fand, verschiedene Blickwinkel beleuchtet zu sehen. Die Triggerwarnung am Anfang des Buches ist sehr wichtig, um die Thematik des Buches direkt klarzustellen.


"Roxy" hat mich von der Idee her wirklich umgehauen und in seinen Bann gezogen, ich habe sehr viele Denkanstöße mitnehmen können und behalte das Buch in sehr besonderer Erinnerung. Mit der Umsetzung war ich nicht immer glücklich, fand es stellenweise etwas zäh und konnte den Figuren nicht so nah kommen. Insgesamt ist es aber ein richtig tolles, wichtiges Jugendbuch, das mich immer noch gedanklich beschäftigt. Ich möchte gerne noch weitere Bücher des Autorenduos lesen und kann "Roxy" in jedem Fall als kreative Warnung vor Drogenmissbrauch empfehlen.

Alles Liebe