Sonntag, 23. September 2012

[Autoreninterview] mit Grit Poppe

Hallo, meine Lieben!

Heute gibt es etwas ganz Besonderes im Buchlabyrinth!

Wir haben ein Interview mit der Autorin von Werken wie "Weggesperrt" und "Abgehauen" gemacht.

Grit Poppe hat unsere Fragen beantwortet. Was Sie zu Ihren Büchern, dem Leben einer Schriftstellerin und weiteren Themen sagt, könnt Ihr hier erfahren.



Liebe Frau Poppe,


Was hat Sie dazu bewegt, gerade über die Zeit der Deutschen Teilung und der DDR in Ihren Büchern zu berichten?

Ich bin selbst ja in der DDR geboren und aufgewachsen. Für mich war es irgendwann wichtig, Erfahrungen, die ich gemacht habe, an die jüngere Generation weiterzugeben. Auch weil ich selbst zwei Kinder habe, die nach der Wiedervereinigung geboren wurden. In den Schulen meiner Kinder wurde über die jüngste deutsche Geschichte kaum etwas vermittelt. Gleichzeitig wird die DDR häufig verklärt und nicht gesehen, dass sie eine Diktatur und ein Unrechtsstaat war. Das halte ich für bedenklich, vielleicht sogar für gefährlich. Denn Demokratie ist nicht so selbstverständlich, wie es heute scheint. Man muss etwas dafür tun, dass sich so etwas wie z. B. der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau nicht wiederholen kann. Dazu gehört auch, die Vergangenheit aufzuarbeiten, über das zu reden und zu schreiben, was passiert ist und denjenigen Gehör zu verschaffen, die in der DDR zu Unrecht weggesperrt wurden.


In Ihrem neuen Buch „Abgehauen“ ist die Protagonistin die 16- jährige Gonzo. Haben Sie viel mit ihr gemein und wie sind Ihnen gerade diese Charakterzüge, die sie besitzt, in den Sinn gekommen?

Gonzo ist mir so nahe wie mir eine gute Freundin nahe wäre.
Ich bewundere sie für ihren Mut und ihre Widerspenstigkeit und dafür, dass sie sich trotz allem nicht unterkriegen lässt. Von der Biografie habe ich nicht viel mit ihr gemeinsam. Gonzo ist ein Heimkind, war immer auf sich allein gestellt und hat nie Geborgenheit in ihrer Kindheit erlebt. Ich bin behütet aufgewachsen, aber ein Elternteil – bei mir war es der Vater – lebte in Opposition zum Staat DDR und hatte entsprechende Schwierigkeiten – wie z. B. die Überwachung durch die Stasi. Also da gibt es eher Parallelen zu Anja aus „Weggesperrt“, aber ich war zum Glück nie in einem Jugendwerkhof.
Gonzos Charakter ist ja schon in „Weggesperrt“ geboren worden. Viele, die in Jugendwerkhöfen landeten oder auch in Torgau, waren Heimkinder. Ich habe versucht, das emotional zu verstehen. Also mich in Gonzos Situation hineinzuversetzen. Sie hat ja von sich selbst das Gefühl immer das „schwarze Schaf“ gewesen zu sein – aber daraus entsteht auch ihre Stärke. Sie muss sich durchbeißen. Ihr wird nichts geschenkt. Und sie schlägt sich tapfer. ;-)


In Ihrem neuen Werk wird die Zeit zwischen 1989 und 1990 behandelt. Das müssen für Sie ebenfalls sehr besondere Jahre gewesen sein. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ja, in der DDR war der Herbst 1989 für mich wirklich eine Zeit des Aufbruchs. Alles änderte sich plötzlich. Damit meine ich nicht den Mauerfall, sondern die Zeit, als die Leute sich trauten auf die Straße zu gehen und für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen. Das hatte es so noch nicht gegeben, jedenfalls nicht seit ich auf der Welt war. Die DDR kam mir bis dahin immer grau, eng und verschlafen vor. Die „friedliche Revolution“ 1989 war eine sehr überraschende und emotionale Erfahrung. Dass wenig später die Mauer fiel, ahnte zu dem Zeitpunkt ja noch niemand. Auch 1990 war noch spannend. So besetzten wir z. B. mit ein paar Leuten den ehemaligen Stasiknast in Potsdam. Ich engagierte mich bei Demokratie Jetzt, einer der neuen Bürgerbewegungen. Es war also eine sehr aufregende, spannende Zeit.


Die Einblicke in den Jugendwerkhof Torgau sind vor allem auf Zeugenberichte zurückzuführen. Waren diese Menschen ebenso geprägt und regelrecht traumatisiert wie ihre Charaktere?

Leider ja. Die Zeitzeugen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sind tatsächlich in Torgau traumatisiert worden – und zwar lebenslänglich. Vielleicht helfen Therapien ein wenig, wenn man Glück hat, aber sie können die Vergangenheit nicht ändern. In diesem geschlossenen Jugendwerkhof wurde ganz bewusst und mit System die Persönlichkeit von 14- bis 18-jährigen gebrochen – mit Einzelhaft, Demütigungen, Misshandlungen und der so genannten Kollektiverziehung. D. h. wenn der Einzelne aus Sicht des Erziehers etwas falsch gemacht hatte, wurde die ganze Gruppe bestraft. Und die Gruppe hat sich am vermeintlich Schuldigen gerächt. Es war ein perfides menschenverachtendes System, dem man dort hilflos ausgeliefert war. Die Jugendlichen kamen völlig verändert aus Torgau zurück. Sie waren nicht mehr dieselben, die sie einmal gewesen waren.


Können Sie sich vorstellen, noch weitere Bücher zu diesem Thema zu verfassen? Möglicherweise sogar mit schon bekannten Personen aus den Vorgängern?


Vorstellen könnte ich es mir schon. Geplant ist es bisher nicht.


Wie verläuft bei Ihnen ein normaler Arbeitstag und gibt es überhaupt Routine im Beruf einer Schriftstellerin?


Also wenn ich gerade an einem Buch arbeite, bemühe ich mich auch um Regelmäßigkeit. Setze mich also morgens an den Schreibtisch und versuche dann bis zum Nachmittag mir etwas einfallen zu lassen. Aber diese Routine durchzuhalten ist schwierig. Für Bücher wie „Weggesperrt“ und „Abgehauen“ waren auch zeitaufwendige Recherchen notwendig. Sich mit Zeitzeugen zu treffen und von ihren oft schlimmen Schicksalen zu hören und sich damit auseinanderzusetzen, hatte nichts mit Routine zu tun. Im Gegenteil. Es war Neuland für mich und ich musste erstmal sehen, wie ich umgehe mit Menschen, die so etwas erlebt hatten. Wir haben uns Zeit gelassen, uns oft getroffen, viel geredet, indessen sind Freundschaften entstanden.

Dann gibt es Lesereisen, die zwar erfreulich sind, man begegnet schließlich Lesern und interessiertem Publikum, doch man wird auch aus dem Schreibfluss herausgerissen. Und letztlich ist’s auch nicht so einfach, quasi täglich sein eigener Boss zu sein. ;-)


Warum haben Sie sich dafür entschieden, die Bücher „Weggesperrt“ und „Abgehauen“ an die Zielgruppe der Jugendlichen zu richten?


Mein Eindruck war, dass viele Jugendliche heute nichts wissen über die jüngste Vergangenheit. Was ist der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur? Es hilft nichts, das in der Schule auswendig zu lernen – und nach der Klassenarbeit wieder zu vergessen. Eine packende Geschichte kann viel eher vermitteln, was es bedeutet völlig rechtlos einem unmenschlichen System – wie das in Torgau – ausgeliefert zu sein.

 
Sie bekamen für „Weggesperrt“ den Gustav- Heinemann- Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher 2010. War das etwas Besonderes für Sie zu sehen, dass Ihre Bücher so wirken?

Einen so wichtigen Preis zu bekommen, war natürlich etwas Besonderes. Ich hab mich sehr gefreut und war total aufgeregt. Zum Glück begleiteten mich meine Kinder zur Preisverleihung in Essen, auch meine Eltern kamen, Zeitzeugen und auch der Dressler Verlag war vertreten. Überreicht wurde der Preis von der Jugendministerin des Landes NRW und auch der Bürgermeister von Essen war da und besonders berührend: Angehörige von Gustav Heinemann.

Wie meine Bücher wirken, können natürlich eher die Leser(innen) sagen. Aber ich habe viele Mails bekommen, Anrufe, Briefe… Die Menschen zeigten sich schockiert und betroffen. Viele lasen zum ersten Mal etwas über diese Erziehungsmethoden und wussten nichts über Torgau und die anderen Jugendwerkhöfe.


Wie sind Sie dazu gekommen, Schriftstellerin zu werden. War dies immer Ihr Traum oder gab es Umwege?


Ich habe schon als Kind gern geschrieben. Damals waren das hauptsächlich Indianer-Geschichten, da war ich 8 oder 9 Jahre alt. In der Phantasie gab es ja keine Grenzen und man konnte leben, wo man wollte. Und ich wollte in der Prärie leben und auf Büffeljagd gehen. :D

Später habe ich dann Literatur in Leipzig studiert. Also der Berufswunsch war schon sehr früh da.

 
Könnten Sie sich vorstellen, eines Ihrer Bücher verfilmt in Kino oder Fernsehen zu betrachten?

Ja, klar. Für „Weggesperrt“ gab es auch schon Interessenten aus der Filmbranche: Regisseure und Produzenten lasen das Buch und trafen sich mit mir. Bisher hat sich noch nichts Konkretes ergeben, aber ich habe vor, ein Drehbuch zu schreiben. Ich könnte mir „Weggesperrt“ und „Abgehauen“ gut im Kino vorstellen oder auch als Zweiteiler im Fernsehen.




Vielen Dank für Ihre Zeit und Antworten!
Vielen Dank für das Interesse! :)

Hier gehts zu ihrer Autorenhomepage:
Grit Poppe/ Autorin


Dieses und hoffentlich noch einige andere Interviews könnt Ihr demnächst in der Kategorie "Autoreninterviews" nachlesen!

Bis bald  ;)


7 Kommentare:

  1. Ich kenne die ganzen Bücher ja gar nicht.Wird wohl Zeit mal wieder Bücher zu kaufen.Habe seit August kein neues Buch mehr gekauft.Ich habe dir auf meinem Blog schon geantwortet Fina.

    LG May

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  2. Da fühlt man sich direkt schlecht, keins der Bücher zu kennen, obwohl sie sogar in unserer Bibliothek stehen... glaube ich :D
    Danke für euren Besuch bei uns! Wegen des Cursors, schau einfach mal hier vorbei: http://www.cursors-4u.com/cursor/2010/03/12/blogger.html
    lg, Hannah

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  3. Ein sehr schön geführtes Interview und sehr interessant. Auch die Antworten von Grit sind sehr schön. Ich kenne beide Bücher und werde im 2. sogar namentlich erwähnt. ;)
    Ich kann jedem die Bücher sehr ans Herz legen und hoffe, dass dieses dunkle Kapitel niemand vergisst.
    Danke nochmal an die Autorin für diese Werke!

    Jens

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    1. Ich habe mich auch sehr über die Antworten gefreut! :)

      Du wirst wirklich namentlich erwähnt- welche Rolle spielst du denn?? Fand "Abgehauen" auch sehr toll!

      Fina

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  4. Hallo,
    ich habe einen Award für Euch, schon wieder :) :

    http://anettsbuecherwelt.blogspot.de/2012/09/award-einer-von-zweien.html

    Liebe Grüße
    Anett.

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  5. Hallo!Ich hätte für euch eigentlich einen Award,den hat Ani euch aber schon gegeben.Wollte euch nur mal wissen lassen dass ich eigentlich ein Award für euch hätte.

    LG May

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