Donnerstag, 4. Juni 2015

[Rezension] Scherbenmädchen von Liz Coley

Autorin: Liz Coley
Gebundene Ausgabe
Originaltitel: Pretty Girl 13  
Seitenzahl: 320 Seiten
Teil einer Reihe? Nein.
Genre: Jugendbuch/ Thriller/ Psycho
Empfohlenes Alter: 14-17 Jahre
Themen: Verdrängung, Missbrauch, multiple Persönlichkeit, Freunde, Familie, Entführung, menschliche Psyche, Aufwachsen

Preis: 15, 99€ (D)

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Angie ist dreizehn Jahre alt, als sie entführt wird. Erst drei Jahre später taucht sie wieder auf. Doch sie kann sich an nichts erinnern. Auch nicht daran, woher die Narben an ihren Fußgelenken stammen. Kleine Frau, Pfadfinderin und Engel könnten ihr helfen, die Vergangenheit Stück für Stück wieder zusammenzusetzen. Denn jede von ihnen trägt einen kleinen Teil von Angies dunklem Geheimnis in sich. Doch sie wissen, dass Angie das gesamte Ausmaß des Erlebten nicht ertragen kann. Sie würde zerbrechen ... (Quelle: Amazon.de)



Und auch hier bin ich wieder ein absolutes Opfer der Graphiker geworden. An dem Signalrot kann man ja schon mal gar nicht vorbeigehen und dann dieses eher schlichte, aber sehr ausdrucksstarke Bild dieser jungen Frau in Weiß. Ein toller Kontrast. Doch ausnahmsweise hat nicht nur das Bild den ersten Eindruck so phänomenal gemacht, sondern auch der Titel. Ganz schlicht, nur ein Wort: "Scherbenmädchen". Da fragt man sich doch sofort, was dahinter stecken mag, oder? Ich für meinen Teil habe an der Aufmachung absolut nichts auszusetzen. Nicht nur das Kleid des Buches kann so überzeugen, die inneren Werte machen sich durch wechselnde Schriftarten und toll gestaltete Kapitelanfänge beliebt. Bitte immer ein so wunderschönes Rundum- Paket!



Hat Liz Coley überhaupt schon etwas im Bereich der Jugendbücher veröffentlicht? Also ich habe von dieser Autorin bisher noch nichts gehört- leider! Denn die liebe Frau kann mich hier vor allem durch das spannende Thema sehr fesseln, welches durch einen prägnanten, aber sehr flüssigen Schreibstil sehr gut umgesetzt wird. Sie schafft viele spannende Momente und auch, wenn es nicht heiß hergeht, weiß die Autorin zu unterhalten. Im Mittelteil, um die Hälfte, hatte ich das Gefühl, es zöge sich etwas, allerdings kam ich ganz schnell wieder in einen spannenden Lesefluss und konnte gerade zum Ende hin so richtig mitzittern. Die Autorin hat sich damit bei mir auf jeden Fall beliebt gemacht, aber nicht wegen des eher unspektakulären Stils, sondern vor allem durch die neuartige und unheimlich gut verkörperte  Thematik des Jugendschmökers.




Thema/ Inhalt:
Als Angie von einem Campingausflug nach Hause kommt, wird ihre ganze Welt plötzlich auf den Kopf gestellt. Ihre Eltern erzählen etwas von dreijährigem Verschwinden und Entführungen. Als Angie in den Spiegel sieht, ist sie tatsächlich nicht mehr das kleine 13-jährige Mädchen, sondern eine Junge Frau von 16 Jahren. Doch wieso kann sich Angie nicht daran erinnern? Was ist in dieser Zeit vorgefallen? Auf den Rat ihrer Eltern vertraut das Mädchen einer Psychologin ihr Problem an und nach einer Hypnose berichtet diese, sie habe sich stundenlang mit einer anderen Persönlichkeit in Angie unterhalten, die eine von vielen Figuren in ihrem Körper ist, um schreckliche Erlebnisse in den letzten Jahren vor Angie zu verstecken und das Scherbenmädchen nicht an diesen Erfahrungen zersplittern zu lassen...

Idee/ Umsetzung:
Schon seit langem interessiert mich die menschliche Psyche unheimlich und das Phänomen der multiplen Persönlichkeit wird leider nur selten in Jugendbüchern behandelt. Nur in Monika Feths "Der Scherbensammler" durfte ich mich mit dem gleichen Thema vertraut machen, wobei ich es sehr interessant finde, dass beide Bücher mit der Metapher der Scherben spielen. Jedenfalls wusste ich noch nicht allzu viel darüber und umso spannender wurde dieses Buch für mich. Glücklicherweise habe ich mir den Klappentext vor so langer Zeit zu Gemüte geführt, dass ich kaum noch etwas über den Inhalt wusste und das wurde zu meinem großen Los. Dadurch konnte ich ganz unvorgenommen zusammen mit Angie ihr Schicksal erkunden und die Persönlichkeiten allesamt kennenlernen, ohne ihre Namen von der Kurzbeschreibung her zu kennen.


Die Autorin schafft eine grandiose Umsetzung des Themas in Bezug auf Tiefe, und ich hoffe auch sehr bezüglich der biologischen und neuronalen Hintergründe. So bewundere ich die psychologische Dichte des Jugendbuches und erfreue mich auch im Nachhinein an dieser Exkursion in das menschliche Gehirn mit perfekter Brücke zu Teeniealltag, Freundschaft, Liebe und Probleme in der Familie. Aufgrund des hohen Anteils an dem psychologischen Phänomen der Persönlichkeitsspaltung und Missbrauch, sowie weitere unschöne Verbrechen weiß ich nicht genau, ob ich der Altersempfehlung so zustimmen würde, da ich es mit fast 18 Jahren immer noch sehr erschreckend und aufwühlend empfand- in positiver Art und Weise. Es liefert viel Stoff zum Nachdenken und auch zwischen den Zeilen kann man das ein oder anderen herauslesen. Ein weiterer Aspekt bezüglich der Empfehlung betrifft die Lesergruppe derer, welche selbst von psychischen Krankheiten betroffen sind. Ich kenne mich nicht sonderlich gut aus, aber ich kann mir gut vorstellen, dass Betroffene durch dieses Buch viel über sich lernen können, andererseits aber solche Literatur auch "triggern" oder beeinflussen kann. Jeder sollte sich bei Lektüren dieser Art im klaren sein, dass es sich um ein brisantes Thema dreht, welches mir unheimlich Spaß machte, da es sehr gut und tiefgründig umgesetzt wurde.

Charaktere:
Durch Angies totale Amnesie fühlt man sehr mit dem Mädchen mit, welches doch kürzlich noch 13 Jahre alt war und eigentlich nur Mommy und Daddy umarmen möchte. Die Distanz, die vor allem ihr Vater aufbaut, hat mich teilweise sehr wütend gemacht, aber dennoch ist jede Reaktion der Charaktere absolut durchdacht und nachvollziehbar. Die Psychologin war mir von Anfang an sehr sympathisch und man kann über kaum eine Figur in diesem Buch sagen, dass sie einfältig oder platt wäre. Die Menschen hier drin haben viel Gefühl, sinnvolle Gedankengänge und sind absolut facettenreich. Spannend wird es natürlich zusätzlich bei den Persönlichkeiten, die nach und nach in Angie zum Vorschein kommen. Aber darüber verrate ich gar nichts. Diese sind so besonders, dass man sie ganz alleine kennenlernen sollte!

Ende:
Trotz des gut konstruierten Abschlusses der Geschichte, hätte ich gerne so viel mehr über das Thema gelesen. Ich bin absolut glücklich, dieses Buch gelesen zu haben, welches eine sehr strukturelle Geschichte beinhaltet, die inhaltlich, wie sprachlich eine hohe Qualität hat und das Thema der multiplen Persönlichkeitsstörung absolut anschaulich behandelt. Sicherlich geht das Buch nicht vollkommen in die Tiefe, aber im Rahmen eines Jugendbuches sollte das auch gar nicht das Ziel sein, sondern jungen Menschen einfach nur ein Eindruck dieses Krankheitsbildes vermittelt werden, was meiner Meinung nach Liz Coley vorbildlich gelingt.




Wenn etwas wertvolles erst einmal in Scherben zerbrochen ist, so ist die Frage, ob man die Teile einschmelzen möchte, um etwas neues daraus zu formen, oder ob man die Scherben einsammelt und sie wieder zu einem zusammenfügt. In Angies Fall muss sie jede einzelne Scherbe erst einmal im Licht drehen und wenden, um die Fülle der Farben im Licht zu erfassen und alle Teile in ihr kennenzulernen.
Als großer Fan der behandelten Thematik kann ich hier größtenteils nur schwärmen. Bis auf einige, etwas langatmige Passagen gibt es für mich an dieser Stelle nichts zu meckern. Die Autorin Liz Coley begeistert mit einer mitreißenden Umsetzung, farbenfrohen Charakteren und einer Geschichte, die mich auch jetzt noch nicht loslässt. Bitte mehr in dieser Richtung von meiner Neuentdeckung Liz Coley!


 



Vielen Dank für die freundliche Bereitstellung dieses genialen Buches an: