Dienstag, 6. April 2021

[Rezension] Mein Leben als lexikalische Lücke von Kyra Groh

Hallo ihr Lieben,

das lange Osterwochenende ist um und ich habe so einige Zeit mit Lesen verbracht. Deshalb habe ich heute auch schon wieder eine Rezension für euch"Mein Leben als lexikalische Lücke" ist wirklich ein ganz besonderes Jugendbuch, das auf verschiedenen Ebenen ganz wichtig ist! Ich wünsche euch ganz viel Spaß bei meiner Rezension.

Autorin: Kyra Groh
Erscheinungsdatum: 18.03.2021
Originalsprache: Deutsch
Genre: Jugendbuch/Bücher für junge Erwachsene
Empfehlung: 14-16 Jahre
448 Seiten
Gebundene Ausgabe 18,00€ (D), Kindle Edition 13,99€ (D)
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*Das Buch hat mir der Arctis Verlag freundlicherweise als Rezensionsexemplar im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks zur Verfügung gestellt. Meine Meinung bleibt natürlich vollkommen ehrlich.*


Benni macht ein Praktikum im Frankfurter Krankenhaus und hat Angst, dass er es nie schaffen wird: Blut abzunehmen, vom nerdigen Benni zum coolen Ben zu werden, den allgegenwärtigen Kruzifixen in der beengten Wohnung seiner Mutter zu entkommen. Eingeengt fühlt sich auch Jule, und zwar von dem Weltbild ihrer Eltern. Denn die haben absolut kein Verständnis für vegane Ernährung, Freitagsdemonstrationen oder Anti-Rassismus-Plakate. Und sie würden schon gar nicht verstehen, dass ihre Tochter eigene Ideale vertritt und Teil einer Veränderung sein möchte, die die Welt so dringend braucht. Als die beiden innerlich zerrissenen Teenager aufeinandertreffen, wird ihr Leben bunter, komplizierter, aber auch so viel erträglicher! 



Ich liebe, liebe, liebe dieses Schmuckstück! Erstens, weil es ein Hardcover ohne Schutzumschlag ist und dadurch total hochwertig und besonders aussieht. Zweitens, weil die rote Schrift veredelt ist, im Licht glänzt und sich besonders toll anfühlt. Drittens, weil das knallige Gelb ein richtiger Hingucker im Regal ist und viertens, weil das Cover die Geschichte nicht treffender hätte abbilden können. Ich mag die Zeichnungen der Figuren, den Lexikoneintrag auf der Rückseite- einfach alles! Allein schon der Optik wegen brauche ich unbedingt auch das andere Buch der Autorin...


Jule hat von ihrer Familie die Schnauze voll! Am Frühstückstisch wird über "Ausländer" und Veganer hergezogen, die Klimastreiks sind nur ein vorgeschobener Grund, die Schule zu schwänzen, und Bruder Dustin hängt mit zwielichtigen Freunden ab. Nur in Gegenwart ihrer Freundin Kris und der Clique kann sie sie selbst sein und für die Werte einstehen, die ihr wichtig sind.

Benni macht ein Praktikum im Frankfurter Krankenhaus, weil er seine Mutter nicht allein lassen möchte und deshalb sein Medizinstudium noch nicht aufgenommen hat. Doch mit ihrem starken Hang zur Religion und dem intensiven Glauben kann er sich nicht identifizieren.
Als Jule und Benni aufeinandertreffen, funkt es sofort. Obwohl die beiden aus ganz unterschiedlichen Kreisen kommen, fühlen sich beide wie eine lexikalische Lücke - es gibt in ihrem Umfeld keinen Platz für sie. Mit dem jeweils anderen die Weltsicht zu teilen, gibt ihnen Kraft, für das einzustehen, was ihnen im Leben wichtig ist.


Ich habe bisher noch nie ein derartig politisches, modernes und kluges Jugendbuch gelesen. Durch die Liebe der beiden Protagonisten ist es zwar in Zügen auch ein Young Adult Roman, aber diese Bezeichnung wird der Fülle an Ebenen, die dieses Buch anspricht, nicht gerecht.
Bereits an der Kurzbeschreibung bekommt man eine Idee davon, welche Themen alle angerissen werden: Flüchtlingskrise, Pflegenotstand, Rechtsextremismus, Generationskonflikte, Klimastreik, Veganismus...die Liste ist endlos. Ich finde es von der Autorin super mutig, sich diesen Themen anzunehmen, die bekanntermaßen polarisieren und mit Sicherheit auch auf Gegenwind stoßen. Doch genau dadurch, dass sie durch dieses wertvolle Buch den Mund aufmacht, bekommen Jugendliche den Mut, es ihr gleichzutun.

Obwohl diese Themen präsent sind, erhebt das Buch eher subtil den Zeigefinger. Aus der Sicht von Jule erfahren wir, wie es sich anfühlen kann, wenn die eigene Familie ganz andere Werte lebt und man erst mal seinen Platz in dieser Konstellation wiederfinden muss. Bei Ben geht es auch um Abhängigkeit zu einer Mutter, die er sehr liebt, die aber schlecht loslassen kann und was für ein schlechtes Gewissen mit dieser Abnabelung einhergehen kann. Alles wichtige Themen, die mit Sicherheit den Nerv der Zeit treffen und die Bedenken und Sorgen von Jugendlichen am Ende ihrer Schulzeit oder direkt nach der Schule abbilden. Neben diesen sehr schweren Weltthemen geht es aber auch um die kleinen Alltagsschwierigkeiten: Die Beziehung zur besten Freundin, unerfüllte Verliebtheit, Unsicherheiten beim Kennenlernen und Ängste beim Berufsstart.

Diese Beschreibungen klingen jetzt recht ernst und schwer, aber das ganze wird aufgelockert durch zwei grundsympathische Protagonisten. Ich mochte Jule und Benni sehr gerne. Allein sind sie so herrlich menschlich und authentisch, plagen sich mit den typischen Problemen in ihrem Alltag herum und haben ihre ganz persönliche Träume, Unsicherheiten und Wünsche. Als die beiden aufeinandertreffen und sich kennenlernen ergibt sich eine richtig tolle "Erste Liebe" Dynamik, aber nicht mit diesen ganzen unrealistischen, perfekten Momenten, sondern ganz vielen Selbstzweifeln, Fails und Peinlichkeiten - so, wie das Leben sie schreibt. Auch die anderen Figuren haben hier Ecken und Kanten. Sei es der bollerige, cholerische Vater von Jule, Jules beste Freundin Kris oder Krankenpfleger Benil, irgendwie hat jeder etwas besonderes.

Der Schreibstil ist sehr humorvoll, was die Thematik effektiv auflockert. Ich glaube, das ist hier besonders wichtig, um die Zielgruppe des Buches zu erreichen und die Liebesgeschichte mit den anderen Themen zu verbinden. Der Einstieg in die Geschichte hat mir persönlich etwas zu lange gedauert, da sich die Figuren erst nach 100 Seiten so richtig kennenlernen, aber dafür ist die Spannungskurve ab dann rasant gestiegen und spätestens nach der Hälfte konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. 

Besonders positiv möchte ich auch noch das Thema Sprache hervorheben. Allein durch den Titel, den ich als bekennender Lesenerd schon als etwas nerdy einstufen würde, habe ich mich total angesprochen gefühlt. Das Buch ist etwas für Deutsch-Liebhaber, Sprachfanatiker, Leute, die die Grammatikfehler anderer Leute gerne korrigieren (würden, wenn es nicht so unhöflich wäre ;-)). Am Anfang jedes Kapitels gibt es Lexikoneinträge besonderer Wörter, es gibt Anspielungen auf Germanistik und Lektüren aus dem Deutschunterricht - einfach herrlich! Diese Komponente hat das Buch für mich noch mal besonderer gemacht und mir viel Freude beim Lesen bereitet.


Dies war mein erstes Buch von Kyra Groh und nach dem Lesen MUSSTE ihr zweites Buch auf meine Wunschliste wandern. Die Autorin ist so mutig, derartig wichtige Themen in ein Buch zu packen und auch noch so humorvoll und jugendgerecht aufzubereiten. Wer Lust auf eine sehr schöne, authentische Liebesgeschichte hat, gepaart mit vielen politischen und modernen Einflüsse, der sollte sich dieses Buch am besten sofort besorgen.





Alles Liebe